Carsten Gritzan im Gespräch mit Nadine Roßa
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 4
Bild: Nouki
Erneut sind wir in Berlin gelandet. Ohne es darauf anzulegen, ist die Hauptstadt ein regelmäßiger Anlaufpunkt für das Schwarz Magazin geworden. Gleich vier Artikel in dieser Ausgabe beschreiben Persönlichkeiten aus der Kreativ-Hochburg, die sich unterschiedlicher nicht präsentieren können.
Nadine Roßa, Kommunikationsdesignerin, Illustratorin, Autorin und Sketchnoterin ist eine von ihnen. Wir durften der umtriebigen Gestalterin ordentlich Zeit klauen. In einem spannenden Gespräch erfahren wir Umfassendes über ihre Arbeitsweisen, über ihre Ansichten zur Branche und über ihren Weg zur beruflichen Vollendung. 
Ihre gestalterische Laufbahn beginnt Nadine mit einer Ausbildung zur Mediengestalterin. Ganz klassisch, von der Pike auf gelernt, heißt es ja. Wie vorteilhaft dieser praxisorientierte Start in einer Kölner Digitalagentur für ihre spätere Arbeit werden sollte, in einer Zeit in der alle Zeichen auf Web und digitalen Umbruch standen, wird sich erst zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Karriere herausstellen. New Economy war der Begriff der Stunde. „Was andere in einem Berufsleben erfahren, habe ich in drei Jahren mitgenommen. Von rasantem Wachstum, über tiefe Krisen, Kündigungswellen und Angst vor der Insolvenz war alles dabei.“ Schon zu Beginn mit allen Höhen und Tiefen des Agenturlebens konfrontiert, blickt sie heute mit einem Schmunzeln auf die Zeit zurück. „Es war einfach alles gaga. Wir haben nur gearbeitet und gefeiert. Wir dachten eine 60-Stunden-Woche wäre cool. Bekloppt. Dennoch konnte ich dort viel lernen.“
Trotzdem tauscht Nadine den Agentur-Alltag gegen ein Designstudium. Sie hat andere Ziele. Und landet in Berlin, eine Herzensangelegenheit, nicht weit entfernt von ihrem Heimatort in Süd-Brandenburg.
Im Studium merkt Nadine schnell, dass ihre Herangehensweisen mit einer fundierten Ausbildung im Gepäck, sich doch von den anderen Studierenden unterscheiden. 
„Ich bin eine Praktikerin. Es gab in der DDR den schönen Begriff der Gebrauchsgrafik. Ich mag diesen Begriff. Und ich finde der trifft es einfach. Wenn im Studium Projekte gänzlich frei angegangen werden sollten, habe ich immer den Nutzen hinterfragt. Das ist sicher der Unterschied zum Kunststudium.“  Die betriebsbedingten Aufgabenstellungen und Kunden-Briefings aus Ihrem vorhergehenden Berufs-Alltag haben geprägt. Gegenüber den zum Teil frisch von der Schule in das Studium wechselnden Mitstreiter*innen, zeigen sich wie zu erwarten, Unterschiede in den Ansprüchen. Auch das schon häufiger von Designer*innen und Illustrator*innen in diversen Artikeln aufgegriffene Problem mit der Definition des Lehrauftrages einiger Dozent*innen an diversen Hochschulen, kann Nadine bestätigen. „Ich finde es unverantwortlich von einem Dozenten, einer Dozentin, sich lauter Mini-Mes heranzuziehen. Wie sollen die sich später auf dem Markt behaupten? Das ist ein komplett falscher Ansatz. Ein guter Dozent, eine gute Dozentin stellt sich individuell auf den Studierenden ein und führt nicht auf Wege, die schon oft gegangen worden sind.“ Das sind sehr gute Gedanken, die Nadine ausspricht, zu einem Thema, von dem uns leider viel zu häufig berichtet wird. 
„Ich habe einige Wendungen in meiner Karriere. Ich wollte immer Illustrationen machen, hatte aber eine lange Zeit keine Idee, was das eigentlich heißt. In welchem Umfeld gearbeitet wird, wie an solche Aufträge zu kommen ist. Abgekommen von diesem Ziel bin vorerst durch die Ausbildung zur Mediengestalterin. Doch auch zu dieser Zeit konnte ich immer wieder meine Leidenschaft zu den Zeichnungen einbinden. Es gab noch keine Stock-Portale auf die ich zurückgreifen konnte. Auch nachher, während des Studiums, konnte ich das Netzwerk nutzen und habe als Freelancerin Webseiten erstellt. Damit konnte ich dann mein Studium finanzieren.“
Nach dem Studium bestimmen klassische Design-Aufträge Nadine´s Schaffen. Corporate-Designs, Logo-Entwürfe und hin und wieder Illustrationen. „Die Art der Ausführung hatte schon viel mit dem zu tun, was ich heute mache.“ Visuell Objekte auf das Wesentliche herunterbrechen, ausarbeiten welche Formen benötigt werden, ausloten wie weit man die Zeichnung reduzieren kann und die Entwicklung von neuen Bildideen sind auch die Grundpfeiler von Nadine´s heutiger Arbeit als Skechnoterin. 
Ihre Affinität zum Digitalen, kommt einem wirtschaftlichen Arbeiten entgegen. Analoge Zeichnungen bei Auftragsarbeiten, das Kolorieren, das Einscannen und die Nachbearbeitung, rechnen sich zeitlich nicht mit den Verlagshonoraren. Die Erfahrung wird schnell gemacht, die Praktikerin blitzt durch. Es sind eben diese kostbaren Erfahrungen und Tipps, die Nadine an Berufsanfänger*innen weitergeben kann und auch gibt. Sie findet ihren eigenen Stil, schnell und eben digital die Zeichnungen umzusetzen. Sketchnotes sind im Grunde eine logische Konsequenz, die ihrer Art zu arbeiten entgegenkommt. Live zügig mitzeichnen zu können ist nicht jedem Illustrator, jeder Illustratorin gegeben. Nadine findet eine Nische. 
Das Thema Sketchnotes ist zu diesem Zeitpunkt recht neu. Prompt bekommt sie die Anfrage ein Buch darüber zu schreiben. „Von da an, hat sich alles gedreht. Fast alle Anfragen gingen in Richtung Sketchnotes. Workshops, Graphic Recording, ich habe gemerkt, dass es das ist, was ich die ganze Zeit machen wollte.“ Nadine freundet sich mit dem selbstbestimmten Abschluss einer Arbeit in diesen Bereichen an. „Es muss nicht perfekt sein. Und es wird nur wenig nachgearbeitet. Der Arbeit ist im Gegensatz zu einer Illustration nichts mehr hinzuzufügen oder muss verbessert werden.“
Workshops sind im Sketchnote-Bereich ein großer Markt. Das Publikum, ob in Online-Formaten oder in Präsenzveranstaltungen ist breit gefächert, begeistert und sehr motiviert. „Die Leute haben Lust herauszufinden, wie das funktioniert. Sie möchten an die Hand genommen werden. Das macht großen Spaß.“  Die Gründe, warum Leute Sketchnoting erlernen möchten, sind vielfältig. Die schnelle Visualisierung kann in vielen Berufszweigen die Kommunikation erleichtern und interessanter machen. 
„Mein Anliegen ist es, die Sketchnotes in den Schulen zu verankern, als Methodik zum Lernen. Ich rede viel mit Lehrer*innen über diese Themen, das wird dankbar angenommen. Zurzeit arbeiten wir daran, wie die Techniken im Unterricht vermittelt, vorgelebt und schlussendlich auch erlaubt werden können.“ 
Nicht nur an Schulen, im gesamten Bildungswesen sind Sketchnotes ein großartiges Kommunikationstool und eine hervorragende Methode Inhalte näherzubringen. Wie so oft, sind es leider die Bereiche, die nicht genügend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, um solche Projekte zu realisieren. 
Wichtig und hilfreich sind Sketchnote-Beiträge jedoch überall. „Bei Veranstaltungen beispielsweise können die Visualisierugen einen richtigen Mehrwert einbringen. Es kommt vor, dass meine Zeichnungen in den Panels aufgegriffen und diskutiert werden. Das ist dann der Idealfall, wenn Dinge sichtbar gemacht und immer wieder aufgegriffen werden können, die sonst schnell wieder verschwinden oder gar nicht gesehen werden.“ 
Kunden und Publikum schätzen genau diese Kreativität und Umsetzungskraft. Nadine wird Teil der Veranstaltungen. 
Ihr guter Ruf und ihre fokussierte, praxisnahe Arbeit verschafft ihr die Aufmerksamkeit bei Verlagen, die folglich einige Bücher zu dem Thema „Sketchnoting“ mit ihr veröffentlicht haben. 
„Der Stellenwert ein Buch gemacht zu haben, verändert die Sichtbarkeit. Das überrascht mich heute immer noch. Plötzlich bist du Experte für Irgendwas, weil ein Buch mit deinem Namen herausgekommen ist. Davon profitiere ich natürlich auch. Wenn es gut läuft, kommen weitere Bücher dazu. Dann wird es auch wirtschaftlich interessant. Dabei glaube ich nicht, dass es heute noch wahnsinnig schwierig ist ein Buch herauszubringen. Die Verlage haben große Kataloge, die befüllt werden müssen. Wenn du eine Idee hast, die ok ist und ein Thema bedienst, welches vielleicht gerade im Trend ist, sollte es schon funktionieren.“
Nadine ist mit ihrer Arbeit angekommen. Da hat sie keine Zweifel und weiß, dass sie damit privilegiert ist. Es fällt nicht jedem leicht überhaupt auszusprechen, was die beruflichen Ziele sind. Und wenn sie ausgesprochen sind, muss dieses Ziel auch noch mit den nötigen Voraussetzungen umgesetzt werden können. „Mir ist völlig klar, dass es ein Luxus ist, sagen zu können: Ich mache, worauf ich Bock habe und das ist der coolste Job überhaupt.“
Was soll dem noch hinzugefügt werden. 
Back to Top