Carsten Gritzan im Gespräch mit Jörg Buttgereit
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 4
Bilder: Nouki
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 4
Bilder: Nouki
Der medialen Interpretation ein Größtmögliches Spektrum in den Disziplinen zu gewähren, das ist die Idee zu unserem Titelthema “Der Tod”. Wir erläutern Sichtweisen aus den Augen der Wissenschaft, der Unterhaltung, der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Kultur.
Die kreativsten Darstellungen und Variationen des Todes finden wir, wohl weniger überraschend, in der Unterhaltungsindustrie. Künstler aus allen Genres wetteifern um Originalität in Bild und Ton, auf der Bühne und im geschriebenen Wort.
Ein kaum zu überbietender Facettenreichtum, der vermutlich nur von der Erotik-Industrie in die Schranken gewiesen wird. Oder mit dieser Hand in Hand geht. Die Kunst hat keine Grenzen.
Ein Meister der Grenzen, wenn es um die Umsetzung des Todes in der Kunst und der öffentlichen Wahrnehmung geht, ist Jörg Buttgereit. Wir sprechen mit dem Berliner Filmemacher, Theaterregisseur, Filmkritiker und Hörspielautor über seine Gedanken zum Titelthema.
Im Horror- und Splatterfilmgenre sorgte Jörg Buttgereit, gerade mit seinen frühen Filmen für großes Aufsehen. “Nekromantik”, “Schramm”, “Der Todesking”, seine bekanntesten Werke, wurden aufgrund einer bis dahin nicht gesehenen, subversiven Darstellung des Todes, mit einer für das breite Publikum verstörenden perspektivischen Anschauung, äußerst kontrovers
diskutiert.
diskutiert.
Heute sind die Filme als Kunst eingestuft und werden in den USA, in Japan und England als Blue-Ray-Editionen gekauft, als wäre es das normalste auf der Welt. “Das ist bizarr und wundert mich. Es hat sich offensichtlich einiges geändert. Nur halt die Filme nicht. In England zum Beispiel ist der “Todesking” und “Nekromantik” ohne Kürzungen frei im Handel erhältlich. Das hat fast dreißig Jahre gedauert. Damit habe ich nicht gerechnet. Wir hatten damals harte Repressalien zu erleiden. Es wurden Kopien beschlagnahmt und sogar das Negativ von “Nekromantik 2” sollte vernichtet werden. Wir mussten unseren eigenen Vertrieb gründen, weil niemand sich vorstellen konnte unsere Filme in Deutschland unzensiert zu veröffentlichen. In Ländern wie den USA, die sehr freiheitsliebend sind, oder in Japan, wo man mit Gewaltdarstellung im Film wenig Probleme hat, ging das besser. Zu VHS-Zeiten ging auch Spanien ganz gut.
Aber das juckt einen eben nicht mehr, weil durch die Digitalisierung und die mediale Globalisierung überhaupt keine Zensur und keine Grenzen mehr existieren.“
Ich war damals schon sehr frustriert über die Zensurpolitik in Deutschland. Aus dieser Frustration heraus, weil alles zensiert oder auf dem Index gelandet ist, war das schon ein Austesten. Wie weit kann man gehen, wenn man in Deutschland, deutsche Filme selbst produziert und die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft mal ernst nimmt und freiwillig das eben nicht macht.
Zum anderen sind die Filme auch in einer Zeit entstanden, in der ich sehr oft mit dem realen Tod konfrontiert war. Deshalb sind die auch so geworden, wie sie geworden sind. Ich wurde ständig mit der Vergänglichkeit konfrontiert. Das spiegelt sich auch immer wieder in den Filmen wider und hat mich gezwungen, darüber nachzudenken was ich da eigentlich mache.
Hat das einen Sinn, hat das eine Berechtigung. Ich hatte immer diesen Reality-Check, auch auf einer moralischen Ebene.
Auf einem Filmfestival wurde mir mal gesagt, dass ich die moralischsten Horrorfilme überhaupt mache. Früher habe ich darüber gelacht. Heute verstehe ich das.
Das krasseste Beispiel ist vielleicht, als meine Mutter verstorben war und wir nur Tage danach die “Verwesungs”-Szene vom “Todesking” angefangen haben. Natürlich habe ich mich dabei gefragt, schaffe ich das überhaupt. Weil das gerade eine Spiegelung von dem ist, was meiner Mutter gerade passieren könnte.”
Hier gibt es große Überschneidungen aus dem Gespräch mit Dr. Mark Benecke, der sich ebenfalls in dieser Ausgabe mit dem Thema auseinandersetzt. Mark Benecke schreibt diese Nähe zu dem realen Tod in seinen Ausführungen zwar den Zuschauern zu, die Fragen und die Schlüsse decken sich jedoch auch mit den Herangehensweisen der Kreativen. Der Tod als Reflektor für Medienmacher und Medienkonsumenten. Je schlimmer also die Darstellung, desto weniger dramatisch wirken die eigenen Erfahrungen.
Jörg Buttgereits kreativer Antrieb in den Anfängen setzte sich aus einer gehörigen Portion Provokation und Protest zusammen. Seine Filme haben ihr Ziel erreicht. In der Zwischenzeit hat sich viel getan. Es ist schwer mit den Mediengenres zu provozieren. Scheinbar ist alles gezeigt, geschrieben und gesagt worden.
“Mitte der Siebziger ist ja die Wurst geplatzt. Da gab es plötzlich die ganzen Effekte. Mit John Carpenters “The Thing” ist das Splatter-Genre dann im Mainstream angekommen. Nun wurde alles Mögliche sichtbar gemacht. Ab da kann man in dieser Richtung nicht mehr viel machen.
Heute gibt es zwei Dinge, die mir auffallen. Einerseits macht das Handy in meiner Hosentasche wesentlich bessere Aufnahmen, als die Kameras mit denen ich damals die Filme gedreht habe. Insofern ist doch heute jeder selbst in der Lage einen Film zu drehen. Man muss es nicht mal mehr lernen. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich und sind für jeden zugänglich.
Andererseits entsteht dadurch ein Überfluss, der diese Dinge dann wieder unsichtbar macht.
Ich habe keine Ahnung. Man kann heute zwar alles machen, aber man kann auch niemanden damit hinterm Ofen vorlocken.“
Der Überfluss im Angebot, Streaming-Dienste, Online-Angebote. Vielleicht sind das Gründe für eine fehlende Bereitschaft selbst aktiv zu werden. Die Vielfalt, der Overload scheint zu lähmen.
“Man darf auch nicht vergessen, dass wir heute in moralisch und politisch korrekten Zeiten leben. Es wird zwar immer so getan, als ob alles immer schlimmer und härter wird, aber das liegt ja anscheinend nur daran, dass wir alles mitkriegen, was auf der Welt passiert. Womit will ein Filmemacher denn noch schocken, wenn du dir ein reales Hinrichtungsvideo im Netz ansehen kannst.”
In unserer westlichen Kultur ist der Medienkonsum klar definiert. Wenn der Tod unterhält, darf er in allen erdenklichen Variationen gezeigt werden. Es gibt empfohlene Altersbeschränkungen, natürlich. Ansonsten ist alles frei zugänglich. In unseren Wohnzimmern und Schlafzimmern ist er ein gern gesehener Gast. In der Fiktion, mit einer Decke auf dem Schoß vor dem Kamin, wird ein Psychothriller zur gemütlichen Gute-Nacht-Lektüre. Soll allerdings der reale Tod behandelt werden, verzichtet die Darstellung in den Nachrichten und Dokumentationen über Krankheiten, Kriege, Unfälle und Verbrechen, auf ungefilterte Bilder. Die Darstellung des Todes wird zum Tabu-Thema. Wie dies zu bewerten ist, gilt es herauszufinden. Die realen Bilder des Todes verstören, werden zum Eingriff in die Komfortzone.
“Die Leute tun immer so, als wenn wir in sozial verrohten, medialen Zeiten leben, aber eigentlich sehe ich das nicht so. Ich glaube das wir da schon sehr abgepuffert leben und gerade deswegen Probleme mit der Realität haben.
Es gab mal Zeiten, da sind die Leute in Scharen zu öffentlichen Hinrichtungen gelaufen. Das war eine Art Volksfeststimmung. Natürlich nicht mehr vorzustellen. In den achtziger Jahren gab es in den USA wohl eine Diskussion, ob die Hinrichtung des Serienmörders Ted Bundy im Fernsehen übertragen werden soll. Er hatte so den Hass der Gesellschaft auf sich gezogen, dass man sich eine heilende Wirkung davon versprach. Das ist nicht passiert. Allerdings hat eine amerikanische Zeitung den toten Ted Bundy auf dem Seziertisch abgebildet. Das war dann die gedruckte Weiterführung des Gedankens.”
Der reale Tod kann also noch schockieren und sorgt für entsprechende Aufmerksamkeit. Das wir souveräner oder angstfreier mit dem Tod umgehen würden, wenn wir täglich in den Nachrichten mit einer real dargestellten Todesnähe konfrontiert werden, liegt nahe. Doch wo endet der Respekt, wann beginnt die Angst? Kultur und Gesellschaft sind das Fundament für den Umgang mir dem Tod. Die Medien werfen dieses Bild lediglich zurück.
„Es gibt die Theorie, dass der Ursprung der Kultur der Moment war, in dem der Mensch festgestellt hat, dass er endlich ist. Das heißt, alles was wir in der Kultur machen, ist der Versuch unsterblich zu werden. Dieser Moment wird in einem Buch von Luigi De Marchi, als “Der Urschock” beschrieben. Alles was wir praktizieren ist die Flucht vor dem eigenen Tod.”
Jörg Buttgereit findet viele Wege seine Ideen, seine Interpretationen zum Thema Tod und seinen Fiktionen, dem Publikum zugänglich zu machen. Für die Theaterbühne inszenierte er unter anderem die Geschichte des Serienmörders Ed Gein im Stück „Kannibale und Liebe“, oder die des „Elefantenmenschen“ Joseph Merrick. „Besessen“, „Im Studio hört dich niemand schreien“ und „Nosferatu lebt“ sind weitere Bühnenstücke aus Jörg Buttgereits Feder. Seine Gesprächsreihe „Nackt und Zerfleischt“, viele Hörspiel-Umsetzungen für den WDR und seine Schöpfung „Captain Berlin“, Deutschlands erster Superheld, sind weitere Highlights aus seinem Kreativ-Universum.
Unlängst ist sein Buch „Japan. Die Monsterinsel“ in einer erweiterten, aktualisierten Neuauflage erschienen.
Dies sind nur Auszüge aus Jörg Buttgereits Schaffen. Die Themen und die Umsetzungen seiner Werke sind sicherlich nicht für jedermanns Augen und Ohren gedacht. Wer sich allerdings gerne in die bizarren, kreativen, schockierenden und unterhaltsamen Welten der Pop-, Trash-, Splatter- und Comic-Genres begibt und offen für die Vielfalt der Veröffentlichungsformate ist, sollte sich schleunigst mit Jörg Buttgereit beschäftigen.
Jörg Buttgereit, der Trash-Poet, der Punk-Surrealist, die Underground-Ikone.