Carsten Gritzan im Gespräch mit Ulli Lust
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 6
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 6
Bild: © Ulli Lust
Eine Fülle von Auszeichnungen, Ausstellungen und Übersetzungen weltweit. Der Traum einer jeden ambitionierten Comic-Künstlerin, eines jeden Comic-Künstlers. Wir verzichten darauf, unseren Leser*innen Ulli Lust´s Erfolge im Detail vorzustellen. Wer sie noch nicht kennt, kann dies schnell nachholen. Im Netz medial sehr präsent, gehört die Österreicherin zu den erfolgreichsten und wichtigsten deutschsprachigen Comiczeichner*innen. Ebenso ist Ulli Lust als Professorin für Illustrative Gestaltung und Comic an der Hochschule Hannover tätig. Interviews, Videos und Rezensionen in Hülle und Fülle. Wir vom Schwarz Magazin wollen uns ein wenig in Ullis Glanz suhlen und bekommen prompt ein Gesprächstermin. Ein Gespräch, in dem es gilt, aufmerksam zuzuhören. Ulli redet schnell und begeistert über Comics, über Kunst und über sich. Wir wollen nichts verpassen.
„Ich hatte das Glück, mit meinem ersten Comic `Heute ist der letzte Tag vom Rest meines Lebens` etwas bis dahin völlig Neues veröffentlichen zu dürfen. Ein dickes Buch, welches zeigt, dass im Comic auch andere Geschichten als die klassischen Mainstream-Stories oder Superhelden-und Humor-Dinge erzählt werden können. Das Buch ist gut eingeschlagen auf dem Graphic Novel-Markt. Die internationalen Verlage sind auf den deutschen Verlag zugekommen und wollten das Buch drucken. Es lief richtig gut.“
Fast entschuldigend wirft Ulli sofort ein, dass es ein sich gewaltiger Prozess war, dorthin zu kommen. Dass sie sehr lange um Anerkennung auf dem Markt kämpfen musste. Der verdiente Lohn, möchte ich gerade sagen, da revidiert Ulli auch schon meine Meinung und erwähnt umgehend die vielen tollen Künstler*innen, die ebenso und teils härter arbeiten und eben nicht diesen Erfolg haben. Ulli bemüht sich um Bescheidenheit, weiß aber auch, dass ihre Arbeiten zur richtigen Zeit einen Nerv getroffen haben. Ein Nerv, der getroffen werden musste. „Es gibt so viele Leute, die diesen verdammten, verdienten Lohn nie bekommen. Ich fühle mich schon glücklich und privilegiert, dass es so gut funktioniert. Und tatsächlich ist das Comic-Medium noch so klein, dass es den großen Erfolg braucht, um davon leben zu können.“
Mit ihren Veröffentlichungen erreicht die Wahl-Berlinerin Frauen als neue Zielgruppe für Comics. Die bis dahin überwiegend männliche Leserschaft bestimmt die Genres. Es gibt eine Menge Frauen, die auch gerne Comics lesen, aber thematisch nicht wirklich bedient wurden. Dann kam Ulli Lust. Und ihr Erfolg verändert den Markt. „Außer Ralf König, hat es noch niemand zu so vielen Auslands-Ausgaben gebracht.“ Wie gut, dass wir ebenfalls für diese Ausgabe ein spannendes Interview mit ebendiesen führen durften.
Ulli Lust erzählt Geschichten, in der sich die Leser*innen wiederfinden können. Realitätsnahe Situationen, die eben nicht in einer Fantasiewelt angesiedelt sind. “Ich könnte theoretisch alles Mögliche erfinden, aber ich finde es gerade spannend zu beobachten und zu beschreiben. Ich mag das Groteske und das Hässlichere in der richtigen Welt. Ulli Lust´s großer Durchbruch `Heute ist der letzte Tag vom Rest meines Lebens` ist autobiographisch angelegt. „Ich habe mich dazu entschlossen, dass ich dokumentarisch erzählen möchte. Ich mache keine fiktiven Geschichten. Ich habe es versucht, es liegt mir nicht. Ich finde die Herausforderung viel spannender, eine real existierende Geschichte zu interpretieren. Manchmal ist es schwierig und ich kann es mir nicht schön reden. Ich kann beispielsweise keine Höhepunkte herbeizaubern, ich muss das nehmen, was da ist. Die Realität ist sehr irritierend.“
Ein gutes Beispiel für Ulli`s künstlerische Interpretation einer existierenden Geschichte ist ihre Comic-Adaption des Romans `Flughunde` von Marcel Beyer. Eine Geschichte angesiedelt im Führerbunker der letzten Tage des Dritten Reiches. Hier zeigt die Künstlerin, dass sie die gewaltigen, gnadenlosen Themen nicht scheut und den erzählerischen Reiz einnehmend umzusetzen weiß.
Für Ulli Lust sind Arbeit und Leben keine zwei verschiedene Dinge. „Manchmal muss ich den Leuten schon erklären, dass ich wirklich arbeite. Die denken immer, ich bin auf Urlaub.” Hier muss Ulli lachen. Jeder Kreativ-Schaffende kennt das. Es sind eigene Abläufe, die nach außen immer etwas amüsant wirken. „Ich muss im Prozess für ein Buch die ganze Zeit sehr diszipliniert sein. Ich habe wahnsinnig viele Bilder zu zeichnen. Das heißt, ich weiß von vornherein, dass es extrem viel Arbeit sein wird. Das Zeichnen macht nicht immer Spaß, gerade wenn man es muss. Viele denken, dass Zeichner*in ein toller Beruf ist, bei dem alles aus einem nur so herausfließt. Allerdings muss im Ablauf eben auch mal mit schlechter Laune gezeichnet werden. Aber sich dann durchzubeißen, befriedigt im Nachhinein unbeschreiblich. Dennoch, es kostet enorm viel Schweiß. Es ist ein Missverständnis, dass das Zeichnen etwas Entspanntes ist, was man im inspirierten Zustand macht. Sobald man etwas beruflich macht, kann man nicht immer auf die Inspiration warten.“
Ulli Lust´s Einflüsse machen sich auch am Lehrplan der Hochschule Hannover bemerkbar.
Dort wird zur Zeit der Schwerpunkt Grafisches Erzählen ausgebaut. Das war vorher nicht in dieser Form präsent. „Es gibt Dokumentar-Fotografie und Journalist*innen. Weil ich diesen starken dokumetarischen Ansatz in der Arbeit habe, ist das an der Hochschule eine schöne Synergie. Ich mache Comics mit dem Fokus auf dokumentarisches Erzählen. Wenn man also visuelle Kommunikation in Hannover studiert, kann man nun auch Comic-Autor*in werden. Das ging früher nicht. Ich lehre den Leuten zu inszenieren, die Dramaturgie und natürlich die Zeichnung.“
Dort wird zur Zeit der Schwerpunkt Grafisches Erzählen ausgebaut. Das war vorher nicht in dieser Form präsent. „Es gibt Dokumentar-Fotografie und Journalist*innen. Weil ich diesen starken dokumetarischen Ansatz in der Arbeit habe, ist das an der Hochschule eine schöne Synergie. Ich mache Comics mit dem Fokus auf dokumentarisches Erzählen. Wenn man also visuelle Kommunikation in Hannover studiert, kann man nun auch Comic-Autor*in werden. Das ging früher nicht. Ich lehre den Leuten zu inszenieren, die Dramaturgie und natürlich die Zeichnung.“
Ulli macht nicht nur Comics, sie genießt sie auch. Zur Entspannung, zur Freude. „Leider ist es auch ein Platzproblem. Man kann sie nicht alle kaufen. Eine Altersfrage, irgendwann hätte ich gerne die Bibliothek, das Schloss.“ Nicht jeder Schaffende kann seine Disziplin als Konsument so frei genießen. Ganz freisprechen von einer kritischen Betrachtungsweise, „wie hätte es anders gemacht werden können“ oder „wie würde ich es selbst umsetzen“, das kommt bei Ulli natürlich auch vor. Die Liebe zum Medium bleibt jedoch ungebremst. Das Buch, das Papier und das Internet. Sie genießt die digitalen Vorzüge für Ihre Arbeit, der Recherche, für ihre Student*innen und natürlich zum Spaß. Vor einigen Jahren gründet sie electrocomics, eine Digital-Platform für Comic-Künstler*innen.
Der Bildschirm eignet sich hervorragend als Projektionsfläche für die avancierte Bildsprache des Comic. Wir machen ambitionierte, unkommerzielle Comicprojekte auf der ganzen Welt verfügbar. So heißt es in der Info zum Portal. Auch wenn das Projekt zur Zeit ruht, lässt es erkennen, wie wichtig es Ulli Lust ist, das Medium Comic erreichbar zu machen. In jeder Form, weltweit, für alle.