Carsten Gritzan im Gespräch mit Tobias Kratzer
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 6
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 6
Bild: © Priska Ketterer
Bisher ergab sich für das Schwarz Magazin noch keine Gelegenheit, über den außergewöhnlichen Genuss einer Oper zu berichten. Was bietet sich mehr an, als direkt nach Bayreuth zu fahren, um sich dort von der Atmosphäre der geschichtsträchtigen Wagner-Festspiele berauschen zu lassen. Wir durften der Generalprobe von Tobias Kratzer´s Tannhäuser-Inszenierung beiwohnen und stehen drei Stunden später sprachlos vor Begeisterung vor dem Festspielhaus, mit der Gewissheit, etwas wirklich Wertvolles genossen zu haben.
Die Wagner-Festspiele, geschichtlich zu Recht kontrovers besprochen, sind ein Erlebnis. Die Oper ist ein Erlebnis. Und wir haben viele Fragen. Der Regisseur Tobias Kratzer hilft uns in einem Interview diese Fragen zu beantworten:
Die Wagner-Festspiele, geschichtlich zu Recht kontrovers besprochen, sind ein Erlebnis. Die Oper ist ein Erlebnis. Und wir haben viele Fragen. Der Regisseur Tobias Kratzer hilft uns in einem Interview diese Fragen zu beantworten:
Herr Kratzer, ich denke für beide Seiten ist dieses Interview eher ungewöhnlich. Die Oper wird selten in Magazinen außerhalb der eigenen Kunst besprochen. Was erstaunlich ist, spielen doch gerade bei der Oper beeindruckend alle künstlerischen Disziplinen eine wichtige Rolle und schaffen im Zusammenspiel etwas Wunderbares. Im Grunde zeigt uns eine Oper-Inszenierung den Schlüssel zu einer funktionierenden und innovativen Kreativkooperation. Die Designwelt könnte sich gerade von Leuten wie Ihnen, die es verstehen, Musik, Schauspiel, Bühnenbild und Zeitgeist erfolgreich zu vereinen, sicher gewinnbringend inspirieren lassen. Worin liegt ihr persönlicher Ansporn und Reiz eine Oper zu inszenieren?
So ungewöhnlich finde ich das Interesse Ihres Magazins und auch die Begegnung von „Oper und Design“ eigentlich gar nicht. Dass die Oper als Gesamtkunstwerk an einem Schnittpunkt von ganz unterschiedlichen Interessen, Künsten und Schwesterndisziplinen steht, lässt sie ja selbst für „Insider“ manchmal vielleicht ein wenig sonderbar erscheinen - fast im Sinne einer alchemistischen Wissenschaft; weil einfach niemand der Beteiligten alle ihre Teildisziplinen in Gänze und auf dem gleichen Niveau beherrscht oder versteht.
Andererseits macht aber gerade das auch die Vielfältigkeit der Zugänge aus, die man zu ihr haben kann: man kann -wie wohl die meisten Besucher- über die Liebe zur Musik zur Oper finden, aber auch über eine eher intellektuelle Auseinandersetzung; auch aus Freude am Zirzensischen, das dem Genre ja auch immer innewohnt (in welcher anderen Kunstform wird in solchem Maße leidenschaftlich mitgefiebert oder applaudiert und gebuht?), sogar aus bloßem Repräsentationsbedürfnis.
All diese Aspekte irgendwie mitzudenken – und trotzdem im Idealfall berührende Kunst daraus zu machen … das interessiert mich persönlich in meinen Arbeiten.
Was hat Sie speziell für Ihre Tannhäuser-Inszenierung inspiriert?
Inspiration ist ein schwieriger Begriff. Am Anfang jeder Auseinandersetzung mit einem Stück stehen meist eine sehr genaue Analyse von Partitur und Libretto. Dazu kommt aber oft das, was ich -etwas hochgestochen- manchmal eine „voranalytische Evidenz“ nenne: meist sind das bereits sehr konkrete Bilder einer möglichen Inszenierung, deren Gültigkeit ich oft noch gar nicht klar belegen kann, die aber eine gewisse Dringlichkeit oder sinnliche Überzeugungskraft für mich haben.
Beim Bayreuther TANNHÄUSER war das beispielsweise die Vorstellung von Tannhäusers Freunden, die vor dem geschlossenen Bayreuther Festspielhaus stehen und da „irgendwie reinkommen“ wollen, um ihren Freund wieder zurückzuholen. Es gibt in der Musik des 2. Aktes den berühmten „Einzug der Gäste“. Dass dieser Einzug bei uns eher ein Einbruch oder eine Rettungsmission sein könnte, war eine der Inititalzündungen für das spätere Konzept.
Trotz der großartigen Inszenierungen, wie aktuell die des Tannhäuser, springt bisher in der Berichterstattung, außerhalb der Oper-Blase, der Funke nicht über. Stellt sich überhaupt die Aufgabe für die Oper ein breiteres Publikum zu erreichen? Gerade bei den Festspielen in Bayreuth geht es ja wahrlich nicht darum, Zuschauer gewinnen zu müssen. Die elitäre Mauer nach außen bleibt bestehen und wirkt gewollt, teils abschreckend. Ist diese Wirkung, jenseits der Kunst, doch ein gewichtiger Teil der Essenz einer Oper? Was völlig konträr zu Inszenierungen wie die des Tannhäuser steht. Ich denke sie würde bei vielen Leuten auf großes Interesse stoßen und vielleicht als Türöffner für die Opernwelt dienen können. Nun gibt es nicht nur die Bayreuther Festspiele. Kleinere Opernhäuser würden sich über mehr Ticketbuchungen freuen. Hier wird der Anspruch ein erweitertes Publikum durch solche Aufführungen anzusprechen und medial schmackhaft zu machen real, oder?
Dass Opernhäuser oder Festspiele bewusst eine „elitäre Mauer“ errichten oder befestigen möchten, halte ich aus meinen Erfahrungen im Betrieb eher für ein Vorurteil. Eher ist das Gegenteil der Fall: ich kenne kaum ein Opernhaus, dass sich nicht um Nachwuchsförderung oder Zugänglichkeit für unterschiedlich Bevölkerungsgruppen bemüht.
Warum das nicht immer so erfolgreich ist, wie man sich das -auch als Künstler- wünschen würde, ist eine andere und sehr komplexe Frage.
Aber ich persönlich glaube gar nicht, dass man die Antwort darauf primär auf der Ebene der konkreten Inszenierungen finden kann. Dass qualitätsvolle oder als „modern“ angesehene Inszenierungen immer auch ihr Publikum finden, ist ja gar nicht so ausgemacht leider. (Gerade jüngeres Publikum zum Beispiel kann bisweilen viel konservativer sein als langjährige Opernbesucher.) Und umgekehrt sind die meisten Menschen, wenn sie denn mal eine Oper besuchen, oft auch anhaltend fasziniert von diesem Genre.
Ein sehr pragmatischer, aber entscheidender Grund ist sicherlich der Eintrittspreis. Oper ist sehr personalintensiv (denken Sie allein an die Kollektive von Orchester und Chor) und dadurch leider auch sehr teuer. Trotz aller Subventionen.
Ein anderer ist sicher das generelle Bewusstsein für das Metier; das beginnt sicher schon in den Schulen, aber natürlich ist die Gattung auch medial unterrepräsentiert. (Und damit meine ich weniger die mediale Aufzeichnung von Opernaufführungen, sondern –fast im Gegenteil dazu- das Bewusstsein für die große emotionale Kraft und -ja- auch den „Spaßfaktor“ einer Live-Aufführung.)
Im Grunde muss man hier ansetzen: bei der Preispolitik und beim Marketing. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich Oper vielleicht gar nicht so sehr von vielen vermeintlich lebensnäheren Branchen (wie Streaming-Diensten oder dem öffentlichen Nahverkehr).
Immer wieder werden Namen aus der Kunst mit den Bayreuther Festspielen in Verbindung gebracht, bei denen die Provokation eine gewisse Rolle spielt. Namen wie Schlingensief oder Meese, die in der Kunstwelt auf großes Interesse stoßen. Furore und Aufmerksamkeit sind garantiert. Meese, dessen Inszenierung schlussendlich nicht realisiert wurde, hat mal in einem Interview mit einer großen Zeitung gesagt. ”In Bayreuth geht’s noch ab. Da schlummert noch was, das ist eine Brutstätte für irgendeine Radikalität der Zukunft.”
Ich musste gerade in der ersten Pause beim Tannhäuser genau daran denken. Am See vor dem Festspielhaus wurde Ihre Inszenierung ergänzt. Teils als unabhängige Showeinlage mit Revue-Charakter, teils mit beeindruckenden, revolutionären Vibes. FREI IM WOLLEN, FREI IM THUN, FREI IM GENIESSEN.
Vorzustellen, dass dem eingefleischten Wagner-Freund einiges abverlangt wird. Lieg ich da falsch? Oder ist es mittlerweile genau das, was die Bayreuther Festspiele ausmacht und auch erwartet wird? Die maximale Wirkung der Kunst, zu der eben auch die Provokation gehört?
Provokation scheint mir als künstlerisches Konzept doch ein wenig aus der Zeit gefallen. Das für mich faszinierendste, aber auch beglückendste an der Rezeption unseres TANNHÄUSERs war auch eher, dass die Interventionen, die sie beschreiben, weniger als Provokation, denn als sinnfälliger Teil der Erzählung wahrgenommen wurden. Und das ergab ganz nebenbei selbst für die „eingefleischten“ Festivalbesucher, wie Sie sie nennen, einen willkommenen Image-Transfer: auch Wagnerianer können lachen!
Was die beiden erwähnten Kollegen betrifft: dem großen Theater-Künstler Schlingensief ist in Bayreuth eine Inszenierung von großer Strahlkraft und anhaltender Nachwirkung gelungen. Und zu einer Inszenierung von Herrn Meese ist es ja (aus öffentlich nie restlos geklärten Gründen) nie gekommen, so dass ich dazu auch nichts sagen kann.
Ob Bayreuth die „Brutstätte für eine Radikalität der Zukunft“ ist? In jedem Fall kann man sagen, dass es -in jeglicher Hinsicht- als extremer Verstärker funktioniert. Allein schon aufgrund der hohen medialen Aufmerksamkeit hat alles, was in Bayreuth auf die Bühne kommt oder „passiert“, einen ungleich größeren Wirkungsradius als das an jedem anderen Haus der Fall wäre.
Wagner wird weiterhin aufgrund der Verbindungen zum Dritten Reich kontrovers diskutiert. Das Festspielhaus ist sehr bemüht diese furchtbare Zeit transparent zu reflektieren. Trotzdem bleibt es ein mächtiges Thema, zu dem es keine Antwort zu geben scheint. Auch in der heutigen Zeit, beispielsweise in der Popkultur, gibt es hitzige Diskussionen darüber, ob die Kunst losgelöst von der schaffenden, kontroversen Persönlichkeit genossen werden darf, oder ob diese überhaupt vom Künstler zu trennen ist.
Wie antworten Sie auf solche kritischen Anmerkungen? Oder werden Sie erst gar nicht damit konfrontiert?
In Wagners künstlerischem Schaffen sind die gesellschaftspolitisch diskutablen und utopischen Momente leider meist mit einer weitgehend ungenießbaren Propagandierung des Deutschen Nationalstaates verknüpft. In seinen theoretischen Schriften gibt es nicht nur Passagen, sondern ganz Werkkomplexe von widerwärtigem Antisemitismus. Und die Wagner-Rezeption des 3. Reiches fand darin naheliegende und direkte Anknüpfungspunkte.
Diese Aspekte in einer heutigen Auseinandersetzung mit Wagner NICHT zu reflektieren würde an Naivität und Geschichtsvergessenheit grenzen. Sie deswegen erst gar nicht aufzuführen aber ebenso.
Die wichtigsten Musikdramen Richard Wagners lohnen gerade in ihrer (nicht nur moralischen) Ambiguität einer anhaltenden Auseinandersetzung. Es ist sehr leicht sich entweder auf eine strikte Trennung von Werk und Autor zu berufen oder beides vollständig aus dem Diskurs zu verbannen. Sich den vorhandenen Ambivalenzen zu stellen, halte ich aber für den gesellschaftlich und künstlerisch produktiveren Weg.
Auf welche neuen Projekte dürfen wir uns freuen?
Im November 2022 steht erstmal „something completely different“ an… da hat eine Rossini-Inszenierung von mir am Theater an der Wien Premiere: „La gazza ladra“ - „Die diebische Elster.“
Aber ab Herbst 2024 gibt es wieder geballten Wagner: ab da realisieren mein Team und ich an der Bayerischen Staatsoper in München den RING DES NIBELUNGEN.
Kurz und knapp:
Tobias Kratzer wurde 1980 in Landshut geboren. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie in München und Bern sowie Schauspiel- und Opernregie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding.
Tobias Kratzer gilt als eines der größten Regie-Talente seiner Generation.
Tobias Kratzer gilt als eines der größten Regie-Talente seiner Generation.