Carsten Gritzan im Gespräch mit Ralf König
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 6
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 6
Bild: © Ralf König
Diese Ausgabe befasst sich in diversen Artikeln mit dem Thema Sex. Genauer gesagt um Sex in der Medienbranche. Das Thema ist natürlich nicht neu, doch der Umgang damit ändert sich stetig. Die Veröffentlichungen Deiner Arbeiten haben ja über die Jahre auch einige gesellschaftliche und behördliche Phasen der Akzeptanz durchlaufen. Ich denke heute würde niemand mehr auf die Idee kommen für Deine Werke einen Indizierungsantrag zu stellen.
Künstlern wie Dir ist es zu verdanken, dass durch die Kunst eine wichtige Aufklärungsarbeit geleistet wird. Du nutzt Deine Kreativität als Sprachrohr für Themen und Missstände wie Homophobie, die Kirche und natürlich die Sorgen und Nöte des Alltags, Dinge die Dich selbst beschäftigen. In Deiner ganz eigenen Vorgehensweise. Vorzugsweise mit viel Humor.
War die unterhaltende “Aufklärungsarbeit” Dein Antrieb oder ein liebgewonnener Nebeneffekt, der Dich vielleicht selbst überrascht hat?
War die unterhaltende “Aufklärungsarbeit” Dein Antrieb oder ein liebgewonnener Nebeneffekt, der Dich vielleicht selbst überrascht hat?
Genau Letzteres. Ich hatte nie vor, aufzuklären. Als ich sehr jung war, gerade mal 11, entdeckte ich im westfälischen Kuhdorf die Undergroundcomix von Robert Crumb, ‚Fritz the Cat‘und so. Da ich bis dahin nur Micky Maus und Asterix kannte, war das natürlich ein Urknall. Die Comix waren für Erwachsene gedacht, da wurde gekifft und gefickt und ich dachte: Boah, das will ich auch! Also ficken und kiffen. Ist mir inzwischen gelungen, haha. Aber ich habe schon als Kind gern Comics gezeichnet und da war Crumb natürlich prägend. Außerdem entdeckte ich ziemlich zeitgleich die Pornos im Schrank meines Vaters. Ich wäre hoffentlich auch Comiczeichner geworden, wenn
ich nicht schwul wäre, aber das Tabuthema damals hat mir schnell Aufmerksamkeit verschafft. Wir reden von Ende der 70er, Anfang der 80er, da ging das ja los mit mir. Da war Schwulsein noch gesellschaftlich geächtet, etwas krankes, darüber sprach man nicht. Und dann kam ich mit meinen lustigen Knollennasen um die Ecke, das war damals für die Leute genau das richtige! Aber ich hatte das nicht verstanden oder geplant mit den Auswirkungen.
Ich wollte einfach nur geile Comix zeichnen, erst für meine Freunde und Bekannten, dann für die Szene, und dann kam mit ‚Der bewegte Mann‘ eins zum anderen.
ich nicht schwul wäre, aber das Tabuthema damals hat mir schnell Aufmerksamkeit verschafft. Wir reden von Ende der 70er, Anfang der 80er, da ging das ja los mit mir. Da war Schwulsein noch gesellschaftlich geächtet, etwas krankes, darüber sprach man nicht. Und dann kam ich mit meinen lustigen Knollennasen um die Ecke, das war damals für die Leute genau das richtige! Aber ich hatte das nicht verstanden oder geplant mit den Auswirkungen.
Ich wollte einfach nur geile Comix zeichnen, erst für meine Freunde und Bekannten, dann für die Szene, und dann kam mit ‚Der bewegte Mann‘ eins zum anderen.
Die “Schwulcomix” und auch spätere kommerziell sehr erfolgreiche Werke haben einen Nerv getroffen. Nicht nur schwule Leser finden Gefallen an Deinen Comics. Unabhängig der tollen Zeichnungen und
des einnehmenden Humors ist es vielleicht auch eine weiche, künstlerische Brücke sich als Hetero mit Homosexualität zu beschäftigen?
des einnehmenden Humors ist es vielleicht auch eine weiche, künstlerische Brücke sich als Hetero mit Homosexualität zu beschäftigen?
Auf jeden Fall ist Humor das beste Mittel, um heikle Themen unter die Leute zu bringen, klar. Darum haben religiös Verwirrte oder Diktatoren auch solche Angst vor Karikaturen! Mit Sachbüchern hätte ich diesen Erfolg damals niemals gehabt. In linken Wohngemeinschaften lagen meine Comics oft auf dem Klo, also Leute, die gar keine Schwulen kannten, lasen diese Comics und fanden die cool. Vorher gab es ja nur diese verklemmten ‚Detlef‘-Witze und nun konnte man ohne zu diskriminieren mitlachen, weil ich ja selbst schwul war. Und diese Geschlechterproblematik zwischen Mann und Frau, die fallen bei mir unter den Tisch. Wenn Männer sich untereinander begegnen, ergeben sich natürlich andere Umgangsformen, in der Regel läuft das mit dem Sex viel direkter und lockerer. Das beneiden viele Heteros, Männer wie Frauen, und das scheint mir ein erheblicher Teil meines Erfolgs zu sein. Ich mache das immerhin nun seit über vierzig Jahren und ich bin sehr froh über diese kleinen Unterschiede. Und wenn ich ein heterosexueller Zeichner wäre und all das, was ich mit meinen Männchen auch mit Frauchen treiben würde, wäre ich bestimmt schon der sexistische Comic-Arsch der Nation. Ich fand es immer ein ungeheueres Privileg, schwul zu sein, für die Comics, aber auch privat.
Auch wenn das Internet uns heute für alle Bereiche einen schnellen unkomplizierten Einblick ermöglicht, fehlt doch die empathische Hilfestellung auf ungewohntem Terrain?
Letztlich ist es der Humor, der gut überkommt. Es heißt immer, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ich würde sagen, es ist der
Humor. Heute sind wir gesellschaftlich ein paar Riesenschritte weiter, das Internet bietet alle Informationen, Schwule und Lesben heiraten, und trotzdem gibt es Diskriminierung da draußen und Gewalt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in unseren Breitengraden auf der Insel der Seligen leben. Schon der Blick nach Russland lässt einen schaudern. Putin hasst Schwule, Islamisten hassen Schwule, alle sexuell Verklemmten und selbst latent Schwulen hassen Schwule. Ich will mir nicht vorstellen, wieviel Angst und Verzweiflung in solchen Ländern herrscht.
Humor. Heute sind wir gesellschaftlich ein paar Riesenschritte weiter, das Internet bietet alle Informationen, Schwule und Lesben heiraten, und trotzdem gibt es Diskriminierung da draußen und Gewalt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in unseren Breitengraden auf der Insel der Seligen leben. Schon der Blick nach Russland lässt einen schaudern. Putin hasst Schwule, Islamisten hassen Schwule, alle sexuell Verklemmten und selbst latent Schwulen hassen Schwule. Ich will mir nicht vorstellen, wieviel Angst und Verzweiflung in solchen Ländern herrscht.
Was für Comics liest Ralf König?
Oh, gar nicht so viele. Ich war immer eher der Zeichner als der Konsument. Ich habe natürlich meine Klassiker, Crumb, Claire Bretecher, die mich auch enorm geprägt haben. Auch die Peanuts zähle ich dazu, von Schulz habe ich damals unterbewusst viel gelernt, was Timing und Pointen angeht. Weil ich zuletzt mit ‚Zarter Schmelz‘ eine Lucky Luke Hommage gezeichnet habe, liegt der gesamte Lucky Luke-Bestand hier rum. Morris war auch ein begnadeter Zeichner. Aber aktuell haut mich Christophe Blain um oder Catherine Meurisse, die überlebende Charlie Hebdo Zeichnerin. Blain ist ein unglaublicher Zeichner, jedes Panel ein kleines Kunstwerk. Und die Storys sind oft schön skurril, der Western ‚Gus‘ zum Beispiel oder ’Sokrates der Halbhund’.
Nicht wenigen Lesern der ersten Stunde bedeuten Deine Bücher unglaublich viel. Comingout, Eltern, Freunde, möglichst selbstbewusst einen Weg finden, um mit dem Leben und den Aufgaben klar zu kommen ist generell schwierig, egal mit welcher sexuellen Orientierung. Da ist jede Knollennase hilfreich an der man sich erfreuen oder sogar aufbauen kann. Als schwuler Heranwachsender in einem kleinen Vorort ist dies sicher immer noch ein recht spezielles Unterfangen. Deine Leser*innen hatten und haben Deine Bücher. Was hattest Du? Die Medien waren ja noch nicht so zugänglich und weit verbreitet wie heute.
Ich hatte tatsächlich nichts. ich fühlte mich als Teenager schon ziemlich allein auf dem Dorf und war immer unglücklich in irgendwelche Klassenkameraden verliebt, natürlich heimlich. Trotzdem war ich nicht voller Angst oder so. Die Pornos im Schrank meines Vaters verschafften mir eine sehr unterhaltsame Pubertät! Obwohl die natürlich hetero waren, aber die Kerle, die ich da manchmal sah, machten Lust auf mehr. Und irgendwann bekam ich das Taschenbuch ’Sex und Karriere’ von Rosa von Praunheim in die Hände. Das gab´s am Bahnhofskiosk, und war quasi Praunheims Tagebuch, da stand was von Lederkneipen in New York und wilden Affären und Dialoge aus seinen Filmen, die ich bis dahin nie gesehen hatte. Das Buch wurde eine Bibel für mich. Mir wurde klar, es gibt eine lustvolle und leidenschaftliche schwule Welt da draußen, da wollte ich hin!
Hättest Du Dir als Heranwachsender die heutige digitale Medien-Verfügbarkeit gewünscht?
Ja, natürlich. Von der Information her, der Möglichkeit zur Kontaktaufnahme zu schwulen Plattformen, es ist heute alles viel einfacher, klar. Wenngleich ich meinen Weg dahin nicht missen möchte. Es hat ja auch etwas mit Spannung und Vorfreude zu tun, sich die heimlichen Dinge zu suchen. Heute ist das alles recht unromantisch bequem von zuhause aus sofort und überall abrufbar.
Auf der einen Seite hält sich unsere westliche Gesellschaft für wahnsinnig ausfgeklärt, tolerant und auch divers. Auf der anderen Seite werden sexuelle Inhalte weiter tabuisiert. Beispiel Social Media. Im Gegensatz zur Gewalt bleibt Sexualität in der Darstellung noch immer, vielleicht sogar zunehmend, ein Reizthema. Im Comic, in der Kunst können plötzlich Religionen den Schaffenden den Beruf schwer machen oder sogar in Lebensgefahr bringen. Das sieht alles nicht nach einem Schritt in die richtige Richtung aus, oder?
Gibt es überhaupt Schritte in richtige Richtungen? Es ist ja immer ein Vor und zurück und auf der Stelle Getrampel. Ich bin, was den Werdegang der Menschheit angeht, insgesamt wenig optimistisch. Es wird bald große Probleme geben, also Klimawandel, Überbevölkerung, Autokraten überall, und wenn erst mal die Kacke dampft, wählen sie auch in westlichen Gesellschaften wieder die Rechten, weil die ja alles wieder so schön machen wie es früher war. Und dann haben sie auch schnell wieder die Sündenböcke, die an allem schuld sind. Und da sind queere Menschen eindeutig in der vordersten Reihe.
Denkst Du selbst während Deiner Arbeit manchmal „Das geht jetzt zu weit. Das kann ich nicht bringen.“?
Nein. Ich stemme mich vehement gegen die Political Correctness, so kann Humor nicht funktionieren. Ich habe ein Bauchgefühl, was geht und was nicht, und daran halte ich mich. Ob jemand eventuell beleidigt ist, kann nicht der Maßstab sein. Es gab ja diese Auseinandersetzung um mein Comic-Wandbild in Brüssel, da wurde mir vorgeworfen, die Figuren seinen teils rassistisch, transphob und - was war es noch? Dickenfeindlich! Aber die, die mir das vorwerfen, haben garantiert nie ein Buch von mir gelesen, die sind zu jung und wissen gar nicht, wer ich bin und wofür ich stehe. Da gebe ich den alten, weißen Mann und zucke nur gelassen mit den Schultern. Ich feiere ja gerade mein Jubiläum, ‚Vierzig Jahre Schwulcomix’ und bringe bei Lesungen das ganz alte Zeug aus den 80ern und 90ern. Da bleibt mir allerdings selbst manchmal der Atem stehen, das ist schon verdammt derb, politisch total unkorrekt und sexuell übergriffig. Aber hochkomisch, die Leute im Saal lachen sich schlapp und ich auch. Das hat offenbar was befreiendes heutzutage, wo jede Pointe auf Sensibilität abgeklopft wird. Ich bin immer noch Verehrer von SOUTH PARK! Das ist für mich die Krönung des Humors, die hauen richtig auf die Kacke und sind trotzdem hochmoralisch! Ich mag keinen harmlosen Humor, mir sind die Comics heute entweder zu gefällig oder als Graphic Novel zu intellektuell überladen.
Deine Bücher unterhalten, machen Spaß. Deine Fans lieben die Werke sowieso. Viele Veröffentlichungen sind zudem sehr erfolgreich. Ralf König ist Kult geworden. Eigentlich hättest Du doch eine Welle lostreten müssen, eine Bewegung, in der ein schwules Comic nach dem anderen erfolgreich den Markt aufmischt. Spätestens nach “Der bewegte Mann”. Das ist ausgeblieben, oder? Schwule Comics werden fast ausschließlich mit dem Namen Ralf König in Verbindung gebracht. Hier passt eben alles zusammen. Kunst, Humor, Authentizität. Was kommt nach Ralf König?
Das ist eine gute Frage. Ich warte schon lange darauf, dass aus den queeren Reihen mal Talente kommen, die all die neuen Themen beackern, die ich mit über 60 vielleicht nicht mehr so drauf habe. Warum kommt kein junger schwuler Comiczeichner, keine lesbische Cartoonistin, keine Transperson mit dem Griffel und kritzelt gnadenlose Wahrheiten aufs Papier oder von mir aus aufs Tablet? Ich fürchte ein bisschen, die Zunft der bissigen Zeichner stirbt aus. Comics und Cartoons als Medium sind vielleicht nicht mehr so attraktiv. Oder vielleicht habe sie auch Angst, sofort von den Politisch Korrekten was übergebraten zu kriegen. So ein Shitstorm ist nicht lustig, das muss man aushalten. Blieb mir bisher erspart, auch weil es in meinen Anfängen noch kein Internet gab, Gott sei Dank. Aber ich bin auch kein politischer Karikaturist. Ich bin auch kein queerer Aktivist! Ich bin Comicautor, das sit alles. Meine Figuren sind nah dran an meinem eigenen Erleben, die haben Komplexe und Ängste und Sehnsüchte und Frust, dagegen ist kaum etwas zu sagen, oder? Vor allem braucht man die Fähigkeit zur Selbstironie. Alles mit einem Augenzwinkern betrachten. Die gute alte Volkskunst des Augenzwinkerns geht verloren.
Woran arbeitest Du gerade?
An gar nichts, und das tut mir nicht gut. Ich habe nach Lucky Luke über acht Monate täglich neue Konrad und Paul-Strips auf Facebook und Instagram veröffentlicht, dann war genug Material für das nächste Rowohlt-Buch zusammen, das im Frühjahr 23 erscheint. Ich hab mir etwas Auszeit gegönnt, aber ich merke, es ist wichtig, dass ich an irgendetwas herum murkse, sonst grübel ich zu viel über unangenehme Zeitgenossen und über die Weltlage nach. In den Comics hab ich alles im Griff, die Nasen sagen was ich will und machen was ich will, da redet mir auch keiner rein. Ich liebe Comiczeichnen, es ist immer noch ein bisschen Rock’n Roll für mich und ich brauche dazu nur Stift und Papier. An Ideen mangelt es zum Glück nie. Auf dem Tisch liegt ein Science Fiction, im Hinterkopf denke ich an eine Adaptionen der Nibelungen oder eine Popeye-Parodie oder ein Buch über Konrad & Paul und Political Correctntess. Und dann seh ich mal weiter. Hauptsache, irgendwas mit Sex ab und zu. Ganz ohne Sex geht gar nichts, auch wenn ich allmählich zum alten Sack mutiere. Älterwerden wird auch immer ein dankbares Thema sein. Hält man ohne Humor auch nicht aus.