Carsten Gritzan im Gespräch mit Dirk Bernemann
Erschienen im Schwarz Magazin - Ausgabe 5
Bild: Heyne Hardcore
Was die Spekulationen rund um das Thema Zukunft in den Medien und der Kultur angeht, hat der Kunstmarkt in diesen Tagen, zumindest in der Präsenz, die Nase weit vorne. NFT, Blockchain, Ethereum sind die Schlagwörter der Stunde, mit denen man sich zu befassen hat. Von Überforderung und Ablehnung bis zur gefühlten Zeitwende eines für die Künstlerin und den Künstler lang ersehnten fairen Handels ist alles dabei. Die Bereiche Malerei, Illustration und Fotografie stecken mittendrin und feiern die ersten Erfolge. Goldgräberstimmung an allen Orten. Oft ist die Umsetzung ambitioniert und beeindruckend. Manchmal nur ambitioniert. Das gehört halt dazu, wo Geld zu verdienen ist, spielt die Sache wie so oft keine große Rolle mehr. Wir berichten darüber in diversen Artikeln dieser Ausgabe.
Und was machen die Kreativschaffenden aus der Literatur, aus der Musik? Auch hier haben wir Menschen aufgesucht, die in ihren beruflichen Tätigkeiten unmittelbar mit diesen Kunstformen verbunden und bereit sind eine Prognose in Richtung Zukunft zu wagen oder zumindest im Gespräch den Versuch zu unternehmen.
Einer von ihnen ist der Schriftsteller Dirk Bernemann. Wenn es darum geht eine ehrliche und kompetente Einschätzung zu gewinnen, haben wir unseren Wunschkandidaten gefunden. Dirk übt den Beruf des Schriftstellers nunmehr seit siebzehn Jahren aus und blickt auf fünfzehn Veröffentlichungen zurück. Darunter auch Bestseller wie “Ich habe die Unschuld kotzen sehen”. Ein alter Hase im Geschäft, der gerne im Buchhandel-Regal unter “Junge Wilde” präsentiert wird. Ein Autor, der alle Höhen und Tiefen durchlebt hat und durchlebt. Sein aktueller Roman “Schützenfest” ist im vergangenen Jahr bei Heyne Hardcore erschienen. Mitten in der Pandemie. Auch wenn die Öffentlichkeitsarbeit, wie Lesungen und Promo-Termine nur eingeschränkt wahrgenommen werden konnten, ist der Roman bisher durchaus erfolgreich. Ein Fazit welches sich Autor und Verlag teilen. 
Mit der Schublade “Underground-Schriftsteller” oder “Indie-Kultur” tut sich der Wahl-Berliner allerdings schwer. „Das sind Begriffe, die helfen vielleicht nach außen meine Arbeit einzuordnen, aber mit denen wird auch wahllos rumgeschmissen. Vieles wird dort eingestuft, was eben nicht Indie oder meinetwegen alternativ ist. Ob ich Indie oder Mainstream bin, sollen andere entscheiden. Was ist Underground denn überhaupt? Ein bisschen dirty von der Sprache her. Vielleicht alternative Vertriebswege, ein bisschen DIY wie im Punkrock, aber im Endeffekt sind die auch bei Amazon gelistet. Bukowski wird als Underground angesehen, obwohl die Bücher sich millionenfach verkaufen. Ich mache da keine großen Unterschiede. Es ist schwierig eine Abstufung zu definieren.“ 
Um Dirks Bild bei seinen Leserinnen und Lesern als Underground-Autor in der Öffentlichkeit etwas zu erklären und um das Klischee nochmal romantisierend aufzufassen, hilft neben seinen Werken, ein Blick auf die sozialen Medien. Irgendwie zwischen ”Ich muss das ja machen” und “Kunst”, präsentiert er sich und seinen Alltag in seiner ganz eigenen, typischen Darstellungsweise. So betitelt er auf Instagram ein Bild von sich selbst, beispielsweise mit: „Manchmal wäre es gut, wenn Leute, die über ihre eigenen, trübsinnigen Allerweltswitze lachen und das mit „Ich schmeiß mich weg“ kommentieren, auch genau das tun würden.” Oder er gibt kurze prägnante Einblicke in sein Schaffen: „Ich kann nicht erklären, wie man Krisen übersteht, obwohl ich schon einige Krisen überstanden habe. Ich weiß nicht, was werden soll, weil das niemand weiß, warum also gerade ich? Ich bin ausschließlich Experte im Ich-Sein und häufig nicht mal das.“
Das sind keine Verkaufsstrategien, keine überlegte Aneinanderreihungen des Social Media Contents. Das ist Dirk Bernemann. „Meine Literatur lebt sehr stark von der Übertragung einer direkten Emotion. Ich versuche immer eine direkte Leitung zum Publikum aufzubauen.
Das betrifft meine Literatur, meine Lesungen und Social Media gleichermaßen. Das ist als Gesamt-Blase zu sehen.“ Der öffentliche Auftritt, voran mit Instagram und Co., ist auch für die Literatur nicht mehr wegzudenken. Ob für die Promotion von Veröffentlichungen und Lesungen oder die Streuung von Informationen oder sogar Live-Streams. Auch die Verlage bestehen nachvollziehbar auf diese Tools. Erreichen die Künstler durch ihre eigenen Kanäle doch am besten und direkt die angestrebte Zielgruppe. Fans sind eine sichere Bank was die Verkäufe angeht. Um den Rest kann sich der Verlag kümmern. Sehr lukrativ eigentlich, oder?.
„Fünf bis zehn Prozent derer, die in Deutschland Bücher veröffentlichen, können auch davon leben. Der Rest hat einen normalen Brotjob. Ich habe mehrere. Es wird immer weniger gelesen, aber immer mehr veröffentlicht. In diesem Zwiespalt muss man schauen, seine Nische, seinen Weg zu finden. Ich mache das jetzt seit siebzehn Jahren und habe einen Weg gefunden, der so ok für mich ist.“
Ähnlich wie im Musikbereich sind Auftritte wie Lesungen und effektive Nebenprojekte wichtig, sogar unerlässlich für den großteil der Autorinnen und Autoren geworden. „Der Markt ist gerade in einer komischen Orientierungsphase. Wie positioniere ich mich als Verlag, als Veranstalter*in, als Autor*in. Mit dieser Überlegung sind viele noch nicht ganz fertig. Was kommt jetzt? Was ist der nächste Step? Auch in Verbindung mit der Pandemie. Die Tendenz ist halt, dass weniger Bücher verkauft werden. Auch gab es in jüngster Vergangenheit einige Tiefschläge zu verkraften. Der Papiermangel, gerade zum Ende des vergangenen Jahres oder der mehrfache Ausfall von Buchmessen. Für Verlage ist das ein Drama.“
Mit einem erneuten Blick auf die sozialen Medien wird auch das Thema Self-Publishing plötzlich wieder interessant. Für Künstler*innen mit einer hohen Reichweite im Netz macht die Überlegung durchaus Sinn, eine Veröffentlichung aus eigener Initiative anzugehen. Die Verkaufszahlen sind kalkulierbar. Ein Verlag hat zwar die Routine, die produktionstechnischen Netzwerke und eine qualitative Ausrichtung. Wenn es allerdings um die reinen Verkaufszahlen geht, braucht eine Autorin, ein Autor mit entsprechender Fanbase im Netz, einen Verlag nicht zwingend. Im Musikbereich ist es schließlich keine Seltenheit die Produktion und den Vertrieb selbst zu organisieren. „Es gehört schon was dazu ein Buch zu produzieren. Mit Lektorat, Satz und so weiter. Natürlich kann man Dienstleistungen dazu kaufen. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber es gibt immer noch Verlage bei denen ich mich sehr wohl fühle. Auch sind Verlage für die Zielgruppen verlässlich. Zum Beispiel mein jetztiger Verlag Heyne Hardcore, den Großteil der Veröffentlichungen lese ich selber.“
Trotzdem, in Richtung Zukunft gedacht, ist davon auszugehen, dass es in den nächsten Jahren eine Vielzahl an Eigenproduktionen geben wird. Nicht zwingend von Schriftsteller*innen. Die Leute mit den hohen Reichweiten in den sozialen Medien kommen vorrangig aus anderen Bereichen. Werden sich aber berufen fühlen ein Buch zu veröffentlichen, weil es eben geht. Was es nicht besser macht, nicht mal nur qualitativ. Es gibt Statistiken die aussagen, dass eine Person im Schnitt drei Bücher im Jahr kauft. Wenn eins davon beispielsweise aufgrund von Fanzugehörigkeit eines Influencers gekauft wird, ist dies schon mal weg vom Markt für Autorinnen und Autoren. Es ist anzunehmen, dass die Menge der Veröffentlichungen weiterhin steigen wird.
Aber den Kopf steckt Dirk nicht in den Sand. „Ich denke, dass meine Kunst stark genug ist, um für sich selbst zu sprechen.“  
Das ist auch etwas, was er sich für die Zukunft von allen Beteiligten aus der Branche wünscht. Das man sich wieder auf das Werk konzentriert und nicht zu sehr auf die Darstellung, wie zum Beispiel auf multimediale Events bei Lesungen hinarbeitet. Als Schriftsteller*in muss man nicht zwingend ein Entertainer sein. Im Gegenteil. Gerade aus der vorher angesprochene Masse an Veröffentlichungen, kann Qualität der entscheidende Faktor sein. Vielleicht ist die Literatur genau gegensätzlich zu allen anderen Kultur-Disziplinen, die bei der eine Vermischung der Künste den gegenteiligen Effekt auslösen kann. 
„Wir leben nunmal in einer digitalen Welt, in der die Inhalte immer kürzer werden. Der achthundertseitige Roman wird zukünftig immer weniger Chancen haben. Ich würde mir wünschen, dass die Einlassungsfähigkeit der Leserinnen und der Leser wieder etwas zunimmt. Die Aufgeklärtheit um zu checken, was gut ist und was nicht.“ 
Interessant ist, dass Dirk die Leser*innen in die Pflicht nimmt. Das ist erfrischend einfach und logisch. Wenn sich eben genug Leute für die Qualität der Werke entscheiden, wird der Markt sich daran orientieren müssen. Die Zukunft einer Kunst muss nicht immer an technischen Entwicklungen und Neuerfindungen eines Berufes festgemacht werden. Was sich viele Branchen nicht erlauben dürfen, nämlich die technischen Entwicklungen, nicht mit ins berufliche Geschehen einfließen zu lassen, könnte in der Literatur der Schlüssel zum Bestehen sein. Wenn die Leser*innen mitspielen. 
Hier geht es um die Wertigkeit und den Respekt des Prozesses gegenüber und natürlich um die Wertschätzung für die Arbeit von Autorinnen und des Autoren. Ohne deren Beruf zu stark romantisieren zu wollen. „Der Markt ist eng und schwer zu begehen. Diese Hürde habe ich zum Glück überwunden. Es ist viel Arbeit gewesen. Geschenkt bekommt man nichts. 
Man muss die Fähigkeit lernen, seine eigenen Gedanken in brauchbar und nicht brauchbar unterscheiden zu können. Mir ist die Arbeit nie leicht gefallen, finde sie aber trotzdem schön.“
Mit einer Prognose wie sich der Buchmarkt in den nächsten Jahren verändern wird, möchte Dirk sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. „Es wird ein Medium sein, was nicht einfach so ausstirbt. Aber es wird mit anderen Medien konkurrieren müssen, die leichter zu begehen sind. Streaming-Portale und die Spiele-Kultur zerstreuen einfacher als ein umfangreicher Roman, der achtzehn Stunden Lesezeit in Anspruch nimmt. Es wird schwierig bleiben. Aber die Nischen bleiben wichtig und tun den Leuten gut. Es wird immer Leute geben, die ein Buch in der Hand halten und ins Regal stellen möchten.“
Ein großes Thema für die Zukunft von
Buchveröffentlichungen wird ohne Frage die Nachhaltigkeit sein. Dieses Thema wird berechtigt einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Leseverhaltens nehmen. Digitale Zugänge werden sich einer hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter etablieren. Vielleicht eine Chance, den irgendwann selten gewordenen gedruckten Büchern, einen verdienten Wert zurückzugeben. „Die Welt braucht Literatur.“
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